Mit Deliberate Practice zu einem höheren „Outcome“?

Die Reanimationsleitlinien der American Heart Association (AHA) von 2020 haben auf medizinisch-fachlicher Ebene zwar mit einigen Änderungen aufwarten können,  diese waren allerdings überschaubar und werden in den kommenden Wochen und Monaten gut in Ausbildung und Praxis umzusetzen sein. Allerdings ist diese fachliche Ebene nur ein Teil der Gesamtherausforderung. Ziel der AHA wird weiterhin sein, den plötzlichen Herztod auf ein Minimum zu reduzieren. Dies kann aber aus verschiedenen Gründen nicht alleine durch wissenschaftlich saubere Forschungsergebnisse und Erkenntnisprozesse gelingen. Aus diesem Grunde hat die AHA in den Leitlinien von 2020 einen starken Schwerpunkt auf zwei Themenbereich gelegt:

Hier erklären wir nochmal, was es mit diesen Bereichen auf sich hat. In diesem Artikel möchten wir kurz das Thema „Deliberate Practice“ aus dem Leitlinienabschnitt zu Aus- und Fortbildung vorstellen.

Was ist Deliberate Practice?

Ist Euch schonmal aufgefallen, dass das Training für die medizinische Praxis viel mit dem Training für Wettkampfsport zu tun hat?

In beiden Fällen benötigt man Fachwissen über den eigenen Arbeitsbereich, man benötigt Fertigkeiten (Skills), die auf Kommando in möglichst perfekter Form eingesetzt werden sollten, und man muss so trainiert sein, dass man auch im größten Stress flexibel mit den eigenen Entscheidungen umgehen kann. Hinzu kommt, dass bei einigen Sportarten die Teamdynamik eine wichtige Rolle spielt: Strategien müssen besprochen und Kommunikationswege erarbeitet werden. Und nicht zuletzt geht es in beiden Fällen darum, in einem ganz bestimmten Moment Bestleistungen zu erzielen.

Wenn von „Deliberate Practice“ gesprochen wird, fällt oft der Name von Ben Hogan. Der 1997 verstorbene Golfer gilt als einer der besten Golfer der Geschichte. Dies, so sagt man, liege vor allem an seinem „Schwung“, den er akribisch analysiert und nach und nach mit täglicher, kleinschrittiger Arbeit verbessert haben soll, und später auch in seinem Buch „Five Lessons of Golf“ detailliert beschreibt. Und genau diese konzentrierte, akribische Vorgehensweise kann als „Deliberate Practice“ verstanden werden, das ins Deutsche grob als „Bewusstes Lernen“ übersetzt wird.

Die wissenschaftliche Beschreibung dieser Lernmethode geht auf den Psychologen Karl Anders Ericsson zurück, der sich mit „expert performance“ in verschiedensten Disziplinen beschäftigt und diese analysiert hat. Sein Fokus lag dabei vor allem auf dem Übungsverhalten, eben der „Deliberate Practice“.

Eine Arbeitsgruppe rund um Robbert J. Duvivier hat diese Konzepte dann für die Erlangung klinischer Fertigkeiten in einer Arbeit von 2011 aufbereitet. Sie haben „Deliberate Practice“ in etwa wie folgt definiert:

  1. (Ständig) wiederholte, beabsichtigte (bewusste) Ausführung kognitiver oder psychomotorischer Fertigkeiten
  2. Rigorose Beurteilung
  3. Ganz spezifisches Feedback
  4. Verbesserte Performance

Der Vorteil dieser Methode sind die sehr kurzen Feedbackschleifen. Ein Trainierender erhält auf diesem Wege eine ganz klare Einschätzung seiner Leistung in Kombination mit einem Verbesserungshinweis. Dies ermöglicht es ihm, die notwendigen Fertigkeiten mit hoher fachlicher Sicherheit zu erlernen. Zum Thema Feedbackschleifen haben wir uns in unserem Podcast auch schon einmal mit dem Psychologen Alexander Stötefalke unterhalten.

Die Bildungsforschung hat sich natürlich ebenfalls mit „Deliberate Practice“ beschäftigt. Im Rahmen der Hattie-Studie wurde dieser Vorgehensweise eine sehr gute Effektstärke von 0,79 bescheinigt.
(Was bedeutet Effektstärke bei Hattie?)

Was bedeutet das für Trainer?

Die vorgestellte Methode ist aus mehreren Gründen nicht unproblematisch, denn sie kann dem Wunsch von uns Menschen nach Akzeptanz und Harmonie widersprechen und damit abwertend wirken. Dennoch scheint sie so effektiv zu sein, dass ihr Einsatz bedenkenswert ist. Zumal die AHA eine klare Empfehlung zu dieser Vorgehensweise gibt.

Man muss immer bedenken, dass das Training medizinischer Maßnahmen, nicht nur die Interessen des Trainierenden, sondern auch das der von ihm behandelten Patienten berücksichtigen muss. Aus dem Recht des Patienten auf eine möglichst gute Versorgung kann eine „Trainingspflicht“ für jeden Anwender abgeleitet werden.

Als Trainer, insbesondere in der Erwachsenen- und Berufsbildung, müssen wir allerdings gerade bei solchen Methoden mehrere Aspekte berücksichtigen, um den Bedürfnissen der Trainierenden gerecht zu werden:

  • Unser Vorgehen sollte transparent sein
  • Wir sollten zuvor erklären, warum wir z.B. eine „rigorose Beurteilung“ durchführen
  • Wir müssen eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens schaffen (Geschützter Raum)
  • Wir müssen uns an unsere eigenen Regeln halten. Unsere Bewertung muss so wie angekündigt durchgeführt werden
  • Sie muss klar und fair sein und das Feedback, das wir einbringen, muss einen direkten praktischen Nutzen haben

Was bedeutet das für Anwender?

Der Begriff „Anwender“ umfasst alle Personen, die bestimmte Fertigkeiten in ihrer beruflichen Funktion einsetzen und damit auch regelmäßig trainieren müssen. Einer der wichtigsten Aspekte ist das Eingeständnis, dass jeder von uns permanent an sich arbeiten muss. Daraus sollte die Bereitschaft erwachsen, regelmäßig an Trainings teilzunehmen und fortwährend an unseren Kenntnissen und Fertigkeiten zu arbeiten.

Die zuvor genannte Arbeitsgruppe rund um Robbert J. Duvivier hat auch hier einige wichtige Aspekte hervorgehoben:

  1. Planung (Unsere Arbeit/Unser Lernprozess sollte strukturiert organisiert sein)
  2. Konzentration (Wir sollten so konzentriert sein, wie möglich und stetig an unserer Konzentration arbeiten)
  3. Wiederholung (Wir müssen bereit sein, oft zu trainieren und Dinge zu wiederholen)
  4. Lernstil/Selbstreflexion (Wir brauchen eine Bekenntnis zum selbstregulierten Lernen)

Fazit

„Deliberate Practice“ ist eine strukturierte Vorgehensweise, mit der Bestleistungen ermöglicht werden sollen. Vor allem auf Ebene von Skilltrainings kann dieses Konzept mit großem Erfolg angewendet werden. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass „Deliberate Practice“ eine „harte Methode“ sein kann. Trainer sollten dies in ihrer Unterrichtsplanung berücksichtigen und die Trainierenden einfühlsam begleiten. Trainierende sollten sich ihrer eigenen Pflicht zur Selbstorganisation, Konzentration und Selbstreflexion immer bewusst bleiben.